Counterpart: Interview

„Ich möchte gerne Orte bis zur Unkenntlichkeit verwandeln...“

Knut Loewe arbeitet seit 25 Jahren als Szenenbildner und Production-Designer im In- und Ausland. Nach dem Architekturstudium besuchte er die School for Film and Television des Royal College of Art in London. Zu seinen Spielfilmarbeiten gehören DIE APOTHEKERIN, KALT IST DER ABENDHAUCH, DIE WELLE. Für das Fernsehen entwarf er den Look für FLUCHT UND VERTREIBUNG (ZDF), THE SINKING OF LACONIA (BBC), GOTTHARD (Schweizer Rundfunk), AENNE BURDA (ARD). Und natürlich zwei Staffeln COUNTERPART für den amerikanischen Sender STARZ.

Rückblende 1989 in der Folge 206
Nehringstraße in Berlin-Charlottenburg als Prime-Side
(Concept-Drawing: Axel Eichhorst, VFX Supervisor: Natasha Francis)

Du warst für das Production Design der international erfolgreichen Serie COUNTERPART mit J.K. Simmons und Olivia Williams verantwortlich. In der Serie entdeckt ein Mitarbeiter der Berliner UN-Agentur, dass er einen Doppelgänger in einer parallelen Dimension besitzt... Könntest Du kurz die beiden Parallelwelten beschreiben?

Knut Loewe: Der Name der Serie ist Konzept: Jeder von uns hat einen „Counterpart“, quasi einen Klon, in der anderen Welt. Denn: 1989, in den letzten Tagen der DDR, hat sich im Zentrum von Berlin eine gigantische Implosion zugetragen, weil ein physikalisches Experiment außer Kontrolle geriet. Seitdem hat sich die Welt verdoppelt, gespiegelt. Es gibt nicht nur jeden Menschen auf jeder Seite einmal, das trifft auch für jedes Haus, für jede Straße, für jede Fernsehsendung zu. Die Folge „Twin Cities“ der zweiten Staffel ist komplett als Rückblende gestaltet und veranschaulicht, wie es zu dieser Teilung, zu dieser Spiegelung der Welt ursprünglich kam. In der ersten Staffel wird erzählt, was in den beiden Welten nach 1989 geschah: Es gab z. B. auf der „anderen Seite“ (in der Serie heißt sie „Prime-Side“) eine schreckliche Epidemie, die einen Großteil der Bevölkerung vernichtete. Anschließend fingen die Welten an, sich unterschiedlich weiter zu entwickeln. Die andere Seite ist sehr auf Hygiene bedacht, um eine weitere „Pest“ zu verhindern. Es wird nicht geraucht, es gibt kein Graffiti, alles ist sehr clean, in der Architektur werden andere Materialien verwendet. Die Seite, die in der Serie „Alpha“ heißt, ist die Welt so wie wir sie kennen.

 

On location in Berlin, Prime-Side
(Assistant Art Director: Mariana Vasconcellos, Bauten: Art Department Studio Babelsberg)

Was hat Dich bei Deinen Entwürfen der unterschiedlichen Dimensionen inspiriert?

Knut Loewe:
Genau genommen haben wir drei Ebenen gestaltet: Prime-Side, die Alpha-Seite und die Rückblende in die 80er Jahre vor der Teilung und Spiegelung der Welten.

Am spannendsten war es, die Prime-Seite zu gestalten. Hier haben wir wirklich viel neu angedacht. Was die Architektur angeht, habe ich mich von Rem Kolhaas, von Santiago Calatrava, Frank Gehry und asiatischen Megacities inspirieren lassen. Mit Axel Eichhorst zusammen habe ich die „neuen“ Skylines entwickelt, die wir dem VFX Department zur Verfügung gestellt haben, um die unendlich vielen CGIs umzusetzen. Die Requisiten sehen auf der anderen Seite ganz anders aus: Dort gibt es keinen Apple Computer, kein iPhone und dergleichen. Der Requisiteur Alex Lambriev hat hier Enormes auf die Beine gestellt. Etliche Requisiten wurden neu entworfen und extra für COUNTERPART hergestellt. Das fing bei Kugelschreibern an und ging bis zu Reisegepäck, Geschirr, Akten, Telefonen und Desinfektionsmaschinen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Für unsere Seite, für die Alpha-Seite, habe ich in erster Linie darauf geachtet, dass Berlin ein Gesicht bekommt, das nicht vom Brandenburger Tor und den üblichen Highlights geprägt ist. Inspiriert hat mich, wenn überhaupt, das London und New York der späten 80er Jahre.

Für die Rückblende hat mich „Das Leben der Anderen“ und der alte „Polizeiruf“ inspiriert. Die Serie ist für den amerikanischen Markt konzipiert. Hier konnten wir uns austoben und den Amerikanern den DDR-Stil zeigen.

Dreharbeiten in Tempelhof
On location in Berlin, Prime-Side

Die ersten zwei Staffeln von COUNTERPART wurden in Berlin gedreht, wo die Geschichte gleichzeitig angesiedelt ist. Was waren die größten Herausforderungen für Dein Department bei den Dreharbeiten an so vielen prominenten Orten der Hauptstadt (Flughafen Tempelhof, Hauptbahnhof, Friedrichstraße u.v.m.)?

Knut Loewe: Die vielen Drehorte waren in erster Linie eine logistische Herausforderung. Um die vielen Umzüge zu bewältigen, mussten wir mit einem sehr großen Team arbeiten. Mit allen Mitarbeitern das Notwendige zu kommunizieren, war sehr anstrengend. Teilweise haben wir mit zwei Units gleichzeitig gedreht, dazu kamen Vor- und Rückbauten. An diesen Tagen mussten die Set Dekorateurin Ingeborg Heinemann und ich uns zerteilen.

Das war aber nicht alles. Wir hatten die großen Studiobauten für die Hauptmotive in Los Angeles aufgebaut. Bei der ersten Staffel ging das noch, weil wir zwei Designer waren. Dan Bishop hatte das „OI-Büro“ und „Howard’s Apartment“ in Los Angeles betreut und ich habe die Sets „on location“ übernommen. In der zweiten Staffel war ich alleine und habe mich nach Drehschluss in Berlin um die Bauten in Los Angeles gekümmert. Dazu gehörte z. B. eine riesige Strafkolonie. In Berlin haben wir die Außenaufnahmen auf dem Flughafen Werneuchen gedreht, alle dazugehörigen Innenaufnahmen wurden in Los Angeles hergestellt.

Alle anderen Berlin-Motive haben wir mehr oder weniger aufwendig umgestaltet. Der Tempelhofer Flughafen zum Beispiel ist bei COUNTERPART ein großes Verwaltungsgebäude, das auch gespiegelt wird. Wir haben den Vorhof mit einer riesigen Mauer geschlossen. Entworfen ist so eine Mauer ja schnell. Ich denke, das war für den Bauleiter Uwe Schaer und das Location Department, Lilian Scharnhorst, jedoch eine wirkliche Herausforderung, weil diese Mauer aufgrund von Schauspielerverfügbarkeiten immer wieder auf- und abgebaut werden musste… Die Set-Decoration-Abteilung war an diesen Tagen immer auf Stand-by, weil wir für das Umdekorieren zwischen den verschiedenen Welten viel zu wenig Zeit bekamen.

Set: Customs Lab, 1989 - Folge 206 "Twin Cities"
Art Director: Petra Ringleb, Seth Turner; Bauten: Art Department Studio Babelsberg; Set Dec: Ingeborg Heinemann

Was war Dein Lieblingsset und warum?

Besonders mochte ich eine alte Werft in Zehlendorf. Dort haben wir eine Berliner Altbauwohnung gebaut und viele der vorhandenen Räume und Hallen als Verstecke von Spionen umgebaut und dekoriert. Ein anderes Motiv, das ich sehr mochte, war ein leerstehendes Krankenhaus mit vielen Nebengebäuden, indem wir an die 20 verschiedenen Dekorationen hergestellt haben. So etwas macht mir immer besonders Spaß, weil ich gerne Orte bis zur Unkenntlichkeit verwandeln möchte.

Zeichnung: Petra Ringleb
Bauten: Art Department Studio Babelsberg

Inwiefern unterscheidet sich Deine Arbeit bei einer internationalen Serie von den deutschen TV-Produktionen?

Knut Loewe: Das ist eine großartige Frage!

Mein direkter Ansprechpartner in Amerika bei US-amerikanischen Produktionen ist der sogenannte „Showrunner“ – mit ihm zusammen denke ich mir den Look der Serie aus. Gemeinsam besichtigen wir mit den Regisseuren der jeweiligen Folgen die Drehorte oder die Baustellen. Der Showrunner erklärt den Regisseuren, was wir vorhaben. Da der Showrunner auch die Drehbücher mit den Autoren entwickelt, ist auch immer der jeweilige Autor bei diesen Gesprächen dabei. Wunderbar!

Bei deutschen TV-Produktionen kommt es vor, dass ich die Autoren bei der Premiere das erste Mal zu Gesicht bekomme…Das ist katastrophal! Bei einer amerikanischen Produktion ist der Autor von Anfang an Teil des kreativen Teams. Die Autoren sind bei jeder Besprechung dabei, fahren auf jede Motivbesichtigung mit, immer, wenn ich meine Entwürfe präsentiere, ist der Autor dabei, auch bei den Dreharbeiten. Alle Änderungen, die in der Vorbereitung besprochen werden, finden sich im Drehbuch wieder. Das Drehbuch ist quasi das Protokoll dessen, was man vorbereitet hat.

Ein weiterer großer Unterschied ist die Tätigkeit des Designers an sich. Ich bin dafür da, zu entwerfen – von morgens bis abends. Hat der Showrunner noch eine Idee, bekomme ich die sofort auf den Tisch. Der Showrunner muss Ideen, die womöglich das geplante Budget sprengen, dem Studio verkaufen, nicht ich. Ich entwerfe. Wenn der Showrunner etwas unbedingt möchte, ist er derjenige, der dafür kämpft. Nicht ich.

Bei deutschen Produktionen kommt es nach wie vor oft vor, dass man Berlin 1930 herstellen muss, an 80 Drehtagen zwei Folgen a 90 Minuten produziert – und dann soll das Ganze im besten Fall nichts kosten. Der Szenenbildner soll dann vorschlagen, wie man es „günstig“ (für das viel zu niedrig angesetzte Budget) umsetzen kann. Die TV-Redakteure tun manchmal so, als wüssten sie nicht, was eine historische Straßenszene kostet, auch wenn sie schon seit 25 Jahren TV-Movies betreuen… Die Regisseure möchten auch mal eine Totale zeigen und das abgenommene Drehbuch umsetzen während die Produzenten darauf achten, dass die Gewinne und Herstellungskosten nicht verloren gehen. Für den Szenenbildner ist das keine schöne Situation.

Bauleitung: Uwe Schaer; Art Director: Petra Ringleb, Heike van Bentum

Wie war Deine Zusammenarbeit mit dem Art Department Studio Babelsberg?

Knut Loewe: Für mich war es bei beiden Staffeln, also zwei Jahre lang, eine große Erleichterung, jederzeit auf die Infrastruktur des Art Department zugreifen zu können. Das war in meinen Augen Luxus. Ich glaube nicht, dass ich das ohne diese Unterstützung geschafft hätte.

In Amerika war es ein ständiger Kampf mit den Baufirmen, weil diese sich auf dem jeweiligen Studiogelände „einmieten“ müssen. Dazu kommen die sogenannten „Union-Rules“: Alle Bauteile, die bewegt werden müssen, werden ausschließlich von Gewerkschaftsmitgliedern bewegt, sonst darf das niemand. Schnell geht da gar nichts. Durch die Union-Auflagen werden die Bauten auch sehr teuer. Das Budget kontrolliert zwar auf beiden Seiten des Atlantiks der Supervising Art Director – trotzdem werde ich in den USA viel öfter gebeten, günstigere Alternativen für meine Entwürfe zu finden.

Beim Art Department war das anders: Ganz oft habe ich mit dem Bauleiter vor Ort oder in der Werkstatt kurzfristig Änderungen besprochen, sei es aus gestalterischen oder aus finanziellen Gründen – ein Problem war das nie. Oft kam unser Bauleiter Uwe Schaer mit Materialvorschlägen daher, an die ich gar nicht gedacht hatte – das  hat mir immer viel Spaß gemacht! Wir waren ein gutes Gespann. Ich habe mich immer wieder über die Flexibilität gefreut.

Ja, es kam vor, dass die Farbe nicht schnell genug getrocknet ist und dann war es für die Dekorateure immer sehr schwer, in einer sehr kurzen Zeit die Motive fertig einzurichten… Das ist allerdings auch ein Thema für andere Departments. Wenn man die Motive länger anmietet, entzerrt das die Vor- und Rückbauten enorm, aber das wissen alle Beteiligten.

Fotos: © Knut Loewe, © Starz Entertainment, LLC

 
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